Man wird weder Bosheit noch Schaden tun. So wie das Meer voll Wasser ist, wird das Land erfüllt sein von der Erkenntnis des HERRN.
Jes 11,9
Liebe Gemeinde,
diese Sätze vom Propheten Jesaja fallen in die schlimmste Krisenzeit, die das Volk Israel bis dahin erlebt hatte. Das Land war zu einem Großteil zerstört worden, der Glanz des Könighauses David war verblichen. Verzagtheit bestimmte das Gefühl der Menschen. Jesaja begegnete dieser Realität von Zerstörung und Verzagtheit mit der Beschreibung einer leuchtenden Zukunft: Gegen alle Erfahrung, trotz aller Perspektivlosigkeit, wird aus verdorrtem Untergrund das Leben sprießen. Denn so Jesajas Prophezeiung: Es wird jemand kommen, der Gerechtigkeit herstellen, der den Elenden aufhelfen wird. Jener wird alle Knechtschaft und Unterdrückung, alle Gewalt auflösen. Da wird der Wolf beim Lamm wohnen, da wird der Löwe Stroh fressen wie das Rind und ein Kind, ein Säugling, wird am Loch der Natter spielen.
Was für eine Zukunft! Was für eine Vision! Was für ein Kontrast zur damaligen Gegenwart! Was für ein Kontrast auch zu unserer Lebenswirklichkeit. Wenn Sie diese Zeilen in Händen halten, ist die Wahl zum Bundestag gelaufen, vielleicht – und das bleibt zu hoffen – mit dem Ergebnis einer sich abzeichnenden handlungsfähigen Koalition für unser Land! Die Herausforderungen und der Handlungsdruck sind riesig. So manches liegt auch bei uns zerstört da, das Vertrauen in Sicherheit und Politik, die Angst vor Krieg und Sorge um unser nacktes Leben. Dahinein spricht auch zu uns die Prophezeiung des Jesaja und verweist auf den innersten Kern der Bibel. Fern jeder Gemütlichkeit oder ideologisch verbrämten Selbsterhöhung kündigt sich in dieser Prophezeiung des Jesaja – friedensvisionär und geradezu umstürzlerisch – die weihnachtliche Zeitenwende durch Christi Geburt an. Es ist eine Zeitenwende der ganz anderen Art. Rund 2700 Jahre sind Jesajas Worte von der Zeitenwende nun alt. Und sie treffen heute wie damals in eine Zeit des Schreckens! Wieder herrscht tiefe Krise, mehr noch, es sind zahlreiche, sich überlagernde Krisen. Da sind Inflation, Rezession, Energieknappheit, Zukunftsangst, Angst vor Armut, zunehmende Entzweiung unserer Gesellschaft durch moralischen Druck Weniger. Da sind die grausamen Anschläge von Aschaffenburg und Magdeburg, da sind Hassprediger und selbsternannte Messiasse allerorten.
Jesajas Verheißung bekommt für uns so eine ganz besondere Bedeutung, als nachdrückliche, als kraftvolle Erinnerung daran, wie Gott unsere Welt eigentlich will. Ja, ich will mich gerade in dieser Zeit von dieser Friedensvision des Jesaja inspirieren lassen, will auf Gott hoffen, auf Gott, der gerade jetzt meine Wahrnehmung, meine Erkenntnis schärft, für das Gute, das es trotz allem gibt und das widerständig ist, trotz allem Bösen; denn trotz Krieg und Not ist Gottes Reich bereits mitten unter uns. Trotz allem wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, auf der Gerechtigkeit wohnt. Uns ist verheißen: Nicht das Böse wird das letzte Wort haben, sondern die Liebe. Nicht der Tod, sondern das Leben.
Was aus dieser Welt letztendlich wird, liegt nicht letztgültig in unserer, sondern in Gottes Hand. Deshalb gehört zum konkreten Tun auch das Warten, das Warten auf Gottes Zeit, wie Dietrich Bonhoeffer es formulierte. Vielleicht ist dieses Warten auf Gottes Zeit die größte Herausforderung unserer Tage. So lasst uns auf Gott hoffen, lasst uns tun, was wir angesichts schwerer Krisen tun können und was in unserer Macht steht: für den Frieden leben, für das Miteinander handeln – trotz unterschiedlichster politischer Perspektiven. Und: Lasst uns aktiv Warten auf das, was noch aussteht: Gottes erfüllte Zeit!
Amen.
Ihr Pfr. Christian Wedow